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führend, zunächst ein Verständnis für die äußere, mehr aber noch für die innere
Entwicklung des deutschen Geistes an, und er sucht von hier aus eine wenigstens
vorläufige Einsicht in die Grundzüge der modernen und insbesondere der
deutschen Weltanschauung zu erschließen. Er enthält nur wenige eigentlich
philosophische Lesestücke, aber auch nur weniges, was nicht einen Ausblick in
allgemeine Fragen und Zusammenhänge eröffnete und somit der Philosophie
vorarbeitete. Von drei verschiedenen Gebieten aus, dem geschichtlichen, dem
literarhistorischen und dem naturwissenschaftlichen, führt er dieser allgemeinen
Betrachtungsweise zu.
Selbstverständlich ist die Auswahl nicht bloß durch inhaltliche Gesichts-
punkte, sondern zugleich auch durch den literarischen Wert der einzelnen
Stricke bestimmt: es wäre mein Wunsch gewesen, die bedeutendsten deutschen
Prosaiker der letzten anderthalb Jahrhunderte sämtlich irgendwie zu Worte
kommen zu lassen. Das war nun freilich nicht einmal annähernd zu verwirk-
lichen, aus inneren und äußeren Gründen. Der literarhistorische Gesichtspunkt
mußte sich dem sachlichen unterordnen, wenn der letztere einigermaßen durch-
geführt werden sollte. Selbst in dem zweiten, der Literaturgeschichte gewidmeten
Teile sind nur wenige Stücke ausgenommen, die ausschließlich als geschichtliche
Dokumente gedacht sind und unmittelbar als „Proben" zur Veranschaulichung
des in der Klasse Vorgetragenen dienen sollen: das meiste wird auch hier der
häuslichen Lektiire der Schüler zufallen; diese aber muß dann freilich im
Unterricht selbst verwertet werden, sei's als Grundlage von Besprechungen,
oder auch zur Anknüpfung von Aufsatzthemen. Eben deshalb schien es nötig,
hauptsächlich umfangreichere Stücke und größere Zusammenhänge aufzunehmen,
die dem eigenen Studium des Schülers einen wirklichen Anhalt geben können.
Damit aber war die Beschränkung der Anzahl von Lesestücken auch aus äußer-
lichen Rücksichten geboten, und aus irgendwelche Vollständigkeit geschichtlicher
oder systematischer Art mußte von vornherein verzichtet werden. Eine solche
ist ja freilich der Schule nirgends erreichbar oder auch nur erstrebenswert.
So darf ich denn die Hoffnung aussprechen, daß unsere Arbeit dazu bei-
tragen möge, den Unterricht, zumal auf den oberen Stufen der deutschen
höheren Schule, einheitlicher und innerlicher zu gestalten und damit ein Ziel
zu fördern, dem heute unsere besten pädagogischen Kräfte von verschiedenen
Seiten her zustreben.
Berlin, im Juli 1905.
Rudolf Lrhmann.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
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Zur Geschichte und Kulturgeschichte.
1. Dir germanische Politik des Augustus.
Reden und Aufsätze von Theodor M o m m s e n. Berlin, 1905.
Wenn der Staat das Volk ist und die Vollendung des menschlichen Da-
seins es fordert, daß die zusammengehörigen Stämme, sei es durch freiwilligen
Entschluß, sei es durch den unwiderstehlichen Zwang außerordentlicher Ver-
hältnisse, sich zu einem Staat zusammenfassen, so ist das entsprechende negative
Gegenbild die dauernde Unfreiheit und Dienstbarkeit einer zu eigener Herr-
schaft und Herrlichkeit geschaffenen Nation. Es ist den Römern beschieden
gewesen, wie viele andere politische Phasen und Institutionen, so auch diese
beiden Gegensätze mit einer Schärfe und einer Großartigkeit zu gestalten, die
diesen ihren Bildungen gewissermaßen den Charakter der Allgemeingültigkeit
verleiht, dem Volksstaat wie der Völkerfrone, dem populus Romanus nicht
minder wie der provincia populi Romani.
Auch das römische Volkstum, jener populus, ist nicht mit leisem Druck,
nicht mit milder Hand zusammengefügt worden; die öden Täler Samniums,
die verkümmerten Reste des einst im glänzenden Städteschmuck prangenden
großen Griechenlands, Capua, das für seinen Versuch mit Rom zu wetteifern
zum Dorf herabgesetzt ward, konnten davon erzählen, daß in Italien das
Einigungswerk nicht mit dem schonenden Messer des Arztes durchgeführt
worden war. Und dennoch war dieses Einigungswerk eine große segens-
und zukunftsreiche Tat. An dem römischen Bürgermut brach die über-
legene Zivilisation der Phönikier, das unvergleichliche Genie ihres großen
Führers. Daß nicht Kunst und Geist, sondern der entschlossene Mut eines einigen
Volkes die mächtigste Macht aus der Erde ist, das zeigen die beiden größten
Kriege der Weltgeschichte, der Hannibalische Italiens und der neue nord-
amerikanischer Bürger gegen die Sklavenaristokratie. Das nomen Latinum
ist die erstgeborene der Nationalitäten, welche frei in und durch sich selbst zum
Staat zusammengefaßt wurden.
Aber wo die Götter walten, sind die Teufel nicht fern. Der populus
Romanus schuf sein Gegenstück, die provincia populi Romani. Wie dies ge-
kommen ist, wie das neugeschaffene italische Volk auf den heillosen Weg geführt
Lehmann, Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten, Vii. Teil. 1
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Extrahierte Personennamen: Augustus Theodor_M Lehmann
Extrahierte Ortsnamen: Berlin Griechenlands Capua Italien Hannibalische_Italiens
2
ward, die angrenzenden der Assimilation unfähigen Nationen sich botmäßig
zu machen, ihre Territorien, nach dem Ausdruck des römischen Staatsrechts, in
Landgüter des römischen Volkes umzuwandeln, das kann hier nicht aus-
einandergesetzt werden; aber hierin liegt die historische Rechtfertigung Cäsars
und überhaupt der römischen Monarchie. Die latinische Nation hatte erst die
Einheit und Freiheit für sich und dann den großen Völkerzwinger gebaut.
Zurückstellen konnte man den Zeiger der Weltgeschichte nicht; das vernichtete
Gleichgewicht der Nationen ließ sich nicht wiedererzeugen, der fürchterliche
Widerspruch, der in jenem Regiment lag, nicht dadurch ausgleichen, daß man
die Knechte wieder zu Herren, sondern nur dadurch, daß man auch die Herren
zu Knechten machte. So kam es denn, und mindestens die bisherigen Knechte
gewannen bei diesem Tausche.
Die Monarchie der Cäsaren stand der großen Frage der Nationalitäten
durchaus anders gegenüber als die alte Republik. Diese hätte nie erobern sollen,
und wo sie es tat, da geschah es deshalb mit zagender Hand und bösem Gewissen.
Jeder Landstrich, den man sich weiter unterwarf, machte den Widerspruch der
Zustände unerträglicher; die besseren Männer fühlten mit jedem neuen Skla-
venhaufen, den man in den Zwinger einschloß, die Kraft der Herren weiter
sinken. Darum hat der Senat, solange er aufrecht stand, die Reichserweiterun-
gen mehr über sich ergehen lassen als erstrebt, mehr aus Schwäche und Inkon-
sequenz, wie sie einem alternden kollegialischen Regiment innewohnen, als in
bewußtem Abfall das Prinzip der Nationalität verleugnet, aus dem Rom seine
Lebenskraft zog. Für Cäsar und die Cäsaren war das Prinzip von Haus aus
nicht vorhanden. Die Rechtfertigung der Monarchie lag ja eben darin, daß
damit jener unnatürlichen Herrschaft des einen Stammes über alle übrigen
ein Ziel gesetzt ward, daß, wenn auch mit vielfachen Übergängen und Milde-
rungen, Italien aus seiner gebietenden Stellung in die gemeinsame Unter-
tänigkeit gegen das neue Oberhaupt eintrat. Diese Monarchie also umfaßte
von Ansang an und notwendig verschiedene Nationen, und wie sie einmal war,
konnte sie ihrem Wesen unbeschadet erweitert werden. Darum ist es gerecht-
fertigt und wiederum ein Beweis der scharfen und klaren Ausprägung, die alle
politischen Bildungen Roms auszeichnet, daß der Begründer der neuen Mon-
archie zugleich den großartigsten, ja man kann vielleicht sagen, den einzigen
wirklichen Eroberungskrieg geführt hat, den die römische Geschichte verzeichnet.
Ich meine natürlich die Eroberung des Gebietes zwischen dem Rhein und dem
Atlantischen Ozean, Nord- und Mittelfrankreichs und des linksrheinischen
Deutschlands, durch den Statthalter der beiden Gallien, Gaius Cäsar. Dies
große Gebiet, die feste Burg desjenigen Volksstammes, der wie der Erbfeind
so auch der unfreiwillige Begründer der italischen Nationalität gewesen ist,
wurde durch einen aus freiem Entschluß unternommenen, mit geringen Streit-
kräften und unter schweren militärischen Wechselsällen und politischen Ver-
wicklungen meisterhaft durchgeführten achtjährigen Krieg dem römischen Staat
unterworfen und sofort, ohne das sonst übliche Zaudern und Schwanken, in
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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3
ein Reichsland verwandelt. Genau dasselbe Gebiet, das Schauplatz des ge-
waltigen Krieges von 1870/71 war, ist auch Schauplatz von Cäsars
gallischen Kämpfen gewesen, und an welthistorischer Bedeutung gibt der Krieg,
welcher vor zwei Jahrtausenden die romanische Rasse zum Herrn von Frank-
reich gemacht, dem Kriege nichts nach, der sie mit eisernem Griff in ihre
rechten Schranken zurückgewiesen und die alten Grenzsteine deutscher Nation
mit jungem deutschen Blut wieder gefestigt hat. Jener Krieg Cäsars bewiös
es, daß nicht die alte Republik, wohl aber die neue Monarchie erobern konnte
und erobern wollte, und als der Cäsarismus in Rom sich befestigte, als er die
im Todeskampf mehr als in ihrer Altersschwäche furchtbare Partei der Re-
publik schließlich überwand, da mochte der römische Dichter mit gutem Grund
den Kelten und Britannern zurufen, auf ihrer Hut zu sein. Es ist das Ver-
hängnis solcher Staatenbildungen, die von der Nationalität sich loslösen, daß
es für sie keine Schranken mehr gibt. Wo war die Grenze Alexanders? Warum
am Taurus und nicht vielmehr am Euphrat? Warum am Euphrat und nicht
vielmehr am Indus? Warum war der erste Napoleon verurteilt, in ähnlicher
Weise das Werk des babylonischen Turmbaus so lange höher und höher zu
führen, bis es über seinem Haupt zusammenbrach? Die römische Nation War-
ans dem Punkt angelangt, wo die Grenzen des Staates bestimmt werden ent-
weder durch das resignierende Geltenlassen des zufälligen status qno oder
durch den wahnwitzigen Lauf nach dem immer nahen und doch immer wieder
zurückweichenden Horizont der Weltbeherrschung.
Dem Begründer der neuen Monarchie war es nicht befchieden, dem Schick-
sal eine Antwort auf die Frage zu geben, welchen dieser beiden Wege Rom
einschlagen werde. Ein zwanzigjähriger Bürgerkrieg raffte ihn und mit ihm
den besten Teil der Nation hinweg; aber die Monarchie überdauerte die Krise
und ging, wenn auch geschwächt und zu wesentlichen Kompromissen genötigt,
doch im ganzen als Sieger aus derselben hervor. Was der Oheim begonnen
hatte, sollte der Neffe vollenden; mit der andern ungeheuren Erbschaft kam an
den zweiten Cäsar, den ersten Augustus, auch die schwere Wahl zwischen der
Politik des dauernden Friedens und der Politik der fortgesetzten Eroberung.
Augustus hat, wie in so vielem andern, auch hier geschwankt. Die dämo-
nische Sicherheit, mit der Cäsar seine Entschlüsse faßte, war nicht aus ihn über-
gegangen; wenn jener vielleicht nicht frei war von der Verirrung des Genies,
des Unmöglichen sich zu unterfangen und die Bedingtheit alles menschlichen
Wollens und Wirkens zu vergessen, so war diesem im Gegenteil das Maß-
halten, das Rücksichtnehmen, das Ausgleichen angeboren und ward ihm mehr
und mehr zur andern Natur. Viele seiner Aufgaben hat er von mancherlei
Seiten angegriffen, oft seine politischen Pläne verworfen und die gezogenen
Linien wieder korrigiert. Diese Aufgabe war in der Tat von der Art, daß ein
Schwanken, wenn nicht gerechtfertigt, doch begreiflich ist.
Wenige werden bestreiten, daß auch der gerechteste und glücklichste Krieg
dem Volke nie unmittelbar das ersetzt, was er unmittelbar zerstört, daß es die
1*
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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Extrahierte Personennamen: Cäsars Cäsars Alexanders Napoleon Cäsar Augustus Augustus Cäsar
6
waren Ägypten, Spanien und Afrika zu decken und die zahlreichen unbot-
mäßigen Völkerschaften in den weitgeftreckten Provinzen des gewaltigen Reiches
im Zaum zu halten. Eine Reserve gab es nicht; bei der durchschnittlich zwanzig-
jährigen Dienstzeit wäre mit Heranziehung der entlassenen Soldaten zu wei-
terem Dienst wenig gewonnen worden; nur ausnahmsweise und meistens
mißbräuchlich, nicht aber in gesetzlich reguliertem Wege ist in Rom gewiß der
Nachdienst vorgekommen. Nicht einmal eine eigentliche Feldarmee war vor-
handen; man hatte, nach unseren heutigen Begriffen ausgedrückt, eigentlich
nur Festungstruppen und bei jedem irgend über das gewöhnliche Maß des
Sicherheitsdienstes hinausgehenden Vorfall mußte man die Garnison von
anderen, oft sehr weit entlegenen Punkten wegziehen, um den bedrohten zu
verstärken. Solche Ordnungen wären unmöglich gewesen, wenn das römische
Reich nicht in gewissem Sinn militärisch so für sich allein gestanden hätte, wie
etwa heutzutage die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Sie machen uns
aber begreiflich, daß man von Angriffskriegen absah; ja man darf sagen, daß
Augustus das Militärwesen in einem Grade aus die Defensive beschränkte, der
diese selbst unzulänglich zu machen drohte.
Dementsprechend finden wir Augustus im Ansang seiner Regierung
jedes Angriffskrieges sich enthaltend. Insbesondere tritt dies in Beziehung aus
die östlichen Nachbarn hervor. Cäsar war eben im Begriff gewesen, an den
Parthern für die Niederlage von Karrhä Revanche zu nehmen, als der Tod
ihn abrief. Seitdem hatten die Parther ihre Schuldrechnung noch vermehrt
durch die zeitweilige Überschwemmung von Syrien und Kleinasien und durch
die Loslösimg des Zwischenstaates Armenien aus der römischen Klientel; aus
dem unmittelbaren römischen Gebiet zurückgeschlagen, hatten sie dem Kollegen
Cäsars in der höchsten Gewalt auf armenischem Boden die empfindlichsten
Verluste zugefügt und zu den Adlern, die sie den Legionen des Crassus
abgenommen, weitere römische Trophäen gesammelt. Die neue Monarchie hatte
alle Ursache diesen Handschuh aufzuheben: sie viel weniger als die frühere
Republik durste solche Flecken auf der militärischen Ehre Roms dulden. Augustus
hat es dennoch getan und das ungeduldige römische Publikum ohne Krieg
beschwichtigt; er hat auf diplomatischem Wege die Differenzen beigelegt und
es als einen Haupterfolg seiner Politik betrachtet, daß der anderweitig
bedrängte Partherkönig durch geschickte Unterhandlungen bestimmt ward, in
die Herausgabe jener Siegeszeichen zu willigen. Hier schieden sich die Wege
des Oheims und des Neffen. Der Diktator wollte und brauchte den Krieg,
nicht bloß um seiner Erfolge, sondern um des Krieges willen; Cäsar Augustus
wollte womöglich, und insbesondere in dem ersten Drittel seiner Herrschaft,
den Frieden.
Anders lagen die Dinge in dem nördlich von Italien und Griechenland
sich erstreckenden Gebiet. Das träge und schwache Regiment der Republik hatte
es nicht vermocht, die Nordgrenze sicherzustellen, Mazedonien vor den An-
griffen der nördlichen Barbaren zu schirmen, die Alpen wenigstens so weit
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Extrahierte Personennamen: Augustus Augustus Cäsar Karrhä Cäsars Augustus Cäsar Augustus
Extrahierte Ortsnamen: Spanien Afrika Rom Nordamerika Syrien Kleinasien Armenien Roms Italien Griechenland Mazedonien
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hinüberströmend, für den Augenblick die Legionen sich untertänig machten,
da beschickten die freien Germanen die Kölner und forderten sie auf, zunächst
den Göttern der Nation und vor allem dem Kriegsgott zu danken, daß sie
wieder zur deutschen Gemeinschaft und zum deutschen Namen gekommen
seien, sodann die unter ihnen lebenden Römer auszutreiben, die Mauern nieder-
zureißen und fortan in der offenen Stadt als Freie unter Freien zu leben.
Solche Gedanken lagen also doch damals schon in der Lust, und die Römer-
unter Augustus mußten wohl einsehen, daß dieser von ihnen selbst wo nicht
geschaffene, doch erweiterte deutsche Grenzstreis in seiner engen Berührung mit
den freien rechtsrheinischen Germanen ihrer Herrschaft weit gefährlicher war
als das Flackerseuer im Keltenland und der Elan seiner Patrioten. Dies
ließ sich nicht mehr ändern; aber um so näher lag es auch, die freien deutschen
Stämme den schweren Arm des großen Militürstaats empfinden zu lassen.
In der Tat bleibt Roms Herrschaft über Gallien unsicher und schwankend,
solange die Germanen am anderen User des Rheinstroms in offener Feind-
schaft mit den Römern beharrten. Eben um diese Zeit — 738 d. St., 16 v. Chr. —
hatten die Völkerschaften an der Lippe die bei ihnen sich aushaltenden römischen
Kaufleute aufgegriffen und ans Kreuz geschlagen, dann den Rhein überschritten
und nicht bloß weit hinein das Land geplündert, sondern auch in einer förm-
lichen Schlacht den römischen Feldherrn M. Lollius geschlagen und den Adler
der fünften Legion heimgebracht, den ersten, der seinen Weg zu den heiligen
Stätten der deutschen Nation fand. In den fast zwanzig Jahren, die seit der
Schlacht bei Actium verflossen waren, hatte die Monarchie sich konsolidiert,
Italien sich erholt; des Kaisers Schwiegersohn Agrippa, seine beiden Stief-
söhne Tiberius und Drusus waren fähige und bewährte Führer und standen
dem kaiserlichen Hause nahe genug, um auch in einem Staate, in dem politische
Gründe es verboten, ein großes Kommando einem anderen als einem Prinzen
anzuvertrauen, Verwendung zu finden. Ob Augustus ganz von freien Stücken
sich dazu entschloß, die Friedenspolitik zu verlassen, oder ob er dem Drängen
der Seinigen nachgab, die Niederlage des Lollius gab den Ausschlag: er selbst
ging im Sommer 738 nach Gallien; der Plan wurde gefaßt, den Rhein und das
Vorland der Alpen zu überschreiten und in umfassendster Weise die römischen
Waffen von Gallien aus ostwärts, von Italien und Mazedonien aus nord-
wärts zu tragen.
Der erste Schritt dazu war, daß man Fuß faßte in der Schweiz und in
Tirol und der Pässe der Hochalpen sich bemächtigte. Dies geschah im Jahre 739
der Stadt, 15 v. Chr. hauptsächlich durch einen von Italien aus unter Führung
des jungen Drusus an und über den Brenner durchgeführten Angriff, den
dann der ältere Bruder Tiberius vom Rhein her unterstützte. Man setzte sich
fest am Bodensee, an den Donauquellen, es scheint selbst bei Augsburg, das
dieser Expedition seinen Ursprung verdanken mag. Über die Befestigung und
Sicherung dieser beherrschenden Stellung am Nordabhang der Hochalpen mögen
einige Jahre hingegangen sein; erst im zweiten und dritten Jahre nach jenem
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Extrahierte Personennamen: Augustus Schwiegersohn_Agrippa Tiberius Drusus Augustus Tiberius
9
Vorspiel folgte der eigentliche Angriff. Wie jenes war auch dieser kom-
biniert: er richtete sich teils von Italien aus nordöstlich gegen die Save und
die Drau, teils von Gallien aus gegen die Weser und die Elbe. Die pannonische
Expedition ward von Agrippa begonnen; als diesen noch während der Vor-
bereitungen der Tod hinwegrasste, trat an seiner Stelle Tiberius an die Spitze
des Heeres, und ec unterwarf in den beiden Feldzügen 742 und 743 das Gebiet
zwischen der Save und der Drau. Den anderen Teil dieser Unternehmung
führte zunächst Drusus, der Liebling Augusts wie des römischen Volkes, ein
glänzender und tüchtiger Offizier. Vier Jahre hintereinander durchzog er
das germanische Land, und als auch er mitten im vollen Siegeslauf infolge
eines unglücklichen Sturzes vom Pferde den Tod fand, trat der letzte jener
drei Feldherren aus dem Kaiserhaus, Tiberius, an seine Stelle und führte in
den nächstfolgenden zwei Jahren das Werk des Bruders weiter. Die zer-
trümmerte Überlieferung gestattet uns nicht, eine zusammenhängende
Schilderung dieser wichtigen Vorgänge zu geben, wohl aber läßt sich im ganzen
erkennen, was die Römer gewollt und erreicht haben.
Daß es sich hier um mehr handelte als um eine Rekognoszierung oder eine
offensive Grenzdeckung, wie sie Cäsar und später Agrippa bei ihren Rhein-
übergängen im Sinne gehabt zu haben scheinen, zeigt schon die Stetigkeit
dieser Expeditionen, die sechs Jahre hindurch, von 742 bis 747, sich gefolgt sind.
Ferner ist es deutlich, daß dieser Krieg von seiten der Römer ebenso ein
Angriffskrieg gewesen ist, wie der von Cäsar gegen Gallien durchgeführte.
Allerdings sagen die Berichte, daß die Germanen die Angreifenden waren,
daß sie die Einführung des römischen Steuerwesens in Gallien zu benutzen
dachten, um einen Aufftand gegen die Römer zu erregen, daß in der Tat die
linksrheinischen Germanen im Bunde mit ihren freien Stammesgenossen am
andern Ufer sich empörten und die letzteren von Drusus geschlagen wurden,
als sie versuchten, den Fluß zu überschreiten. Das ist auch gewiß tatsächlich
richtig. Die Einführung des neuen Steuersystems drohte ganz Gallien in
offene Empörung zu versetzen; die linksrheinischen deutschen Gemeinden, die
diese Maßregel mitbetraf, gingen voran und riesen, wie immer, ihre Stammes-
genossen vom anderen Ufer zu Hülfe. Aber daß der Krieg, wenn auch die
Germanen ihn begannen, doch von Drusus beabsichtigt war, zeigte der große,
schon vor dem Ausbruch des Aufstandes von Drusus wenigstens begonnene
Kanalbau, der den Rhein mit der Südersee verband und dazu bestimmt war,
der römischen Flotte die deutsche Nordwestküste zugänglich zu machen, und
sodann die hartnäckige Kriegführung selbst/ nachdem der geringfügige Anlaß
längst beseitigt war.
Das militärische Ergebnis der Kriege war zunächst die Befestigung d'er
Rheinlinie durch eine Anzahl — es heißt fünfzig — verschanzter Posten und
Lager; es ist wahrscheinlich, obwohl nicht mit Bestimmtheit zu erweisen, daß
die beiden großen Standlager, auf denen späterhin Roms Herrschaft über den
Rheinstrom beruht, Mogontiacum und Vetera, das ist Mainz und Xanten,
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien]]
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Extrahierte Personennamen: Agrippa Tiberius Drusus Augusts Tiberius Tiberius Cäsar Agrippa Cäsar Drusus Drusus Drusus
11
So fassen auch die Berichte, die aus dem Altertum geblieben sind, diese
Vorgänge aus. Daß Drusus Germanien unterjochte, sagt sein Sohn Kaiser-
Claudius. Alle Germanen zwischen Rhein und Elbe unterwarfen sich, be-
richtete der Zeitgenosse Livius unter dem Jahre 746 (8 v. Chr.). Wenn späterhin
in der Zeit des Tiberius Germanien bezeichnet wird als damals beinahe zur
Provinz gemacht, so ist es begreiflich genug, daß man das nachherige Aufgeben
desselben mit dem Willen des Augustus zu beschönigen bemüht war. Im Gegen-
teil ist es sehr wahrscheinlich, daß die beiden Benennungen „Ober- und Unter-
germanien", die späterhin in ausfallender und ungeschickter Weise angewandt
werden auf den schmalen Landstrich am linken Rheinufer, ursprünglich be-
stimmt waren für das Germanien zwischen Rhein und Elbe, für das sie allein
sich schicken. Der nach der Niederlage des Lollius entworfene Plan war trotz
der Unzulänglichkeit der dafür verfügbaren Truppen bis auf einen gewissen
Punkt ins Werk gesetzt; wie Gallien durch Cäsar, so war vierzig Jahre später
Germanien zum Römischen Reich gebracht, die neue Monarchie mit Waffenruhm
und Siegesglanz geschmückt worden.
Aber Augustus hatte weder Cäsars Geist noch Cäsars Glück. Wieviel
er auch erreicht hat, das ganze und volle Gelingen ist ihm niemals beschiedeu
gewesen. In diesem Fall trug großenteils er selbst die Schuld. Die Unter-
werfung Germaniens, kräftig begonnen und sieben Jahre hindurch beharrlich
weiter und doch bei weitem noch nicht zu Ende geführt, stockt mit dem Jahre 747
plötzlich. Wenn die sachlichen Verhältnisse dafür schlechterdings keinen Grund
an die Hand geben, so liegt derselbe in den persönlichen klar genug. Agrippa
und Drusus waren, jener im kräftigen Mannesalter, dieser in der Blüte der
Jugend, während dieser Kriege gestorben; der einzige überlebende einer solchen
Ausgabe gewachsene Prinz, Tiberius Nero, verbittert durch das ihm aus-
gezwungene Ehebündnis mit der Julia, der Tochter des Kaisers, und vor allem
durch die seinen jugendlichen Stiefsöhnen, Gaius und Lucius mehr und mehr
sich zuwendende Bevorzugung und ihre offenkundige Bestimmung zur Thron-
folge, zog sich von allen Staatsgeschäften zurück. Nicht mit Unrecht klagte
der Kaiser, daß er im Stiche gelassen werde; aber die Tochter und die Erb-
folge der Tochtersöhne galten doch auch ihm mehr als die höchsten Interessen
des Staates. Das Zerwürfnis schien unheilbar: und der Rückschlag davon
traf zunächst die begonnene Eroberung Germaniens. Man gab nicht auf, was
erreicht war; im Gegenteil ward das Land behandelt wie eine unterworfene
Provinz; die festen Stellungen, vor allem Aliso, blieben dauernd besetzt; die
römischen Truppen durchzogen das Land, und die Waffen haben schwerlich
jemals völlig geruht. Einer der römischen Feldherren dieser Zwischenzeit,
L. Domitius Ahenobarbus, des Kaisers Nero Großvater, vermählt mit einer
Nichte Augusts, gelangte sogar von der Donau her bis an und über die Elbe
und legte später als Statthalter von Germanien einen Damm an in den
schwer passierbaren Mooren zwischen Ems und Rhein. Aber eigentliche Er-
folge von einigem Belang sind aus dieser Zeit nicht zu verzeichnen.
TM Hauptwörter (50): [T48: [Land Rhein Reich Volk Sachsen Römer Franken Jahr Karl Gallien], T20: [Rom Jahr Cäsar Senat Kaiser Pompejus Antonius Tod Krieg Sohn], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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TM Hauptwörter (200): [T56: [Römer Rhein Varus deutsche Armin Jahr Hermann Land Deutschland Tiberius], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution], T181: [Rom Kaiser Sohn Stadt König Nero Romulus Jahr Tarquinius Tod], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T64: [Vater Sohn Jahr Tod Mutter Regierung König Kind Heinrich Bruder]]
Extrahierte Personennamen: Drusus_Germanien Claudius Livius Tiberius Augustus Cäsar Augustus Cäsars Cäsars Agrippa Drusus Tiberius_Nero Tiberius Julia L._Domitius_Ahenobarbus Augusts
13
anzugeben, unter welchen Verhältnissen das Königreich Noricum, das ist
Steiermark, Kärnten und Ober- und Niederösterreich, unter römische Bot-
mäßigkeit gekommen ist; wahrscheinlich war dies schon in der ersten Hälfte der
Augustischen Regierung, wenn auch nur in loser Form geschehen. Aber das
Vorschieben der Standlager an die mittlere Donau erfolgte um diese Zeit.
Pannonien, das ist derjenige Teil von Ungarn, den nördlich und östlich die
Donau, südlich die Drave umfaßt, ist erst in viel späterer Zeit, wahrscheinlich
erst unter Traian, von den römischen Truppen besetzt, erst damals die Stand-
quartiere an der Drave mit denen von Ofen und Raab vertauscht worden.
Um so auffallender ist es und nur durch die Kombination mit jener
Vorbewegung an die Elbe zu erklären, daß wir im Jahre 759 die römische
Südarmee in Carnuntum finden, das heißt in der Gegend von Wien, und
im Begriff, die Donau zu überschreiten und sich am andern Ufer festzusetzen.
Augenscheinlich wollte man das Marchtal gewinnen und dieses mit der
Linie der Elbe verbinden; noch diesen Schritt vorwärts, noch Prag nach
Wien, und der eiserne Ring, der Großdeutschland umklammern sollte, war
geschlossen.
Man traf hier auf ein letztes Hindernis. Vor dem gewaltigen Andringen
der italienischen Eroberer war ein Teil der Germanen ostwärts ausgewichen,
so die Marsen und vor allem die Markomanen. Vierzehn Jahre zuvor hatte
Drusus in dem Jahre seines Todes mit diesen nicht fern vom Rhein gestritten
und sie nach hartem Kamps überwunden. Seitdem hatten sie sich über das
Fichtelgebirge nach Böhmen gezogen und hier zu einem mächtigen Kriegerstaat
sich konsolidiert, der, anders als die Germanen sonst gewohnt waren, sich
einen König gesetzt hatte in dem tapferen und des Krieges nicht bloß, sondern
auch der römischen Kriegskunst kundigen Maroboduus. Die zehnjährige Unter-
brechung der begonnenen Arbeit rächte sich. Maroboduus oder, wie wir ihn zu
nennen pflegen, Marobod, hatte sich bis dahin streng in der Defensive gehalten,
weder jenseits der Donau noch jenseits der Gebirge sich den vordringenden
Römern entgegengestellt; aber dem Angriff, der jetzt von zwei Seiten her
gegen ihn gerichtet ward, war er entschlossen, mit seinen gewaltigen und nach
Möglichkeit disziplinierten Massen standzuhalten. Von Westen her kam die
Rheinarmee durch das Land der Chatten, ohne Zweifel von Mainz her den
Main hinauf, durch die damals vom Spessart zum Fichtelgebirge sich aus-
dehnenden Waldmassen mit Axt und Feuer den Weg sich bahnend, unter
Führung des tüchtigen Gaius Sentius Saturninus, der in den germanischen
Kriegen der beiden letzten Jahre neben Tiberius der Zweite im Kommando
gewesen war. Gleichzeitig überschritt die Südarmee unter Tiberius' eigener
Führung die Donau, schlug auf dem linken Ufer ein festes Winterlager und
marschierte in Böhmen ein. Alles ward mit der dem Tiberius eigenen präzisen
Sicherheit ausgeführt; die römischen Armeen, in der Gesamtstärke von zwölf
Legionen, zwei Drittel der ganzen damals vorhandenen römischen Streitmacht,
standen bereits nicht mehr als zehn Tagemärsche voneinander und hofften in
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Extrahierte Personennamen: Raab Drusus Maroboduus Gaius_Sentius_Saturninus Tiberius Tiberius
Extrahierte Ortsnamen: Niederösterreich Donau Pannonien Ungarn Donau Carnuntum Wien Donau Wien Rhein Marobod Donau Mainz Main Donau
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fünf Tagen aufeinander zu marschierend ihre Vereinigung zu bewerkstelligen
und zugleich an den Feind zu kommen.
Da traf die Eroberer der Gegenschlag der Nationen. Mit Marobods nach
dem Muster der Feinde geordnetem Militärstaat, mit der vorsichtigen Defen-
sive dieser disziplinierten Patrioten hatte Liberins den entscheidenden Kampf
auszufechten gedacht; aber was er nicht in feinen Entwürfen vorgesehen hatte,
noch hatte vorsehen können, war das wilde und unberechenbare Aufbäumen der
unterjochten Nationalitäten. Zwei ungeheuren, bis dahin von der Römerherr-
fchaft kaum berührten Volksmaffen, der pannonischen und der germanischen,
hatte die neue Monarchie zugleich die Ketten angelegt; und wenn dies der
überlegenen Taktik der zivilisierten Italiener insoweit verhältnismäßig leicht
gelungen war, so mochten sie sich vorsehen vor der ersten allgemeinen Auf-
lehnung gegen das ungewohnte Joch. Wie das Meer nur darum ebbt, um sich
zur Flut zu sammeln, so ist nach einem ähnlichen Naturgesetz der Widerstand
gegen die Fremdherrschaft am gewaltigsten, wenn die Unterwerfung sich voll-
zogen und eine Zeitlang der Sieger den Fuß auf dem Nacken des Besiegten
gehalten hat. So fielen die Würfel um Gallien in dem Kriege gegen Ver-
cingetorix, so folgte bei uns auf Jena Leipzig. In der römischen Invasion
Pannoniens und Germaniens trat dieses Stadium jetzt ein, und zwar zunächst
bei den illyrischen Stämmen. Während die römischen Heere in Böhmen standen,
erhob sich auf einmal in ihrem Rücken das ganze Land von der Donau bis zum
Adriatischen Meer, an der Drave und Save sowohl wie in den Bergen Bos-
niens und an der dalmatischen Küste. Es ist nicht meine Aufgabe, den sehr
ernsten pannonifch-dalmatifchen Krieg zu schildern. Nicht oft haben größere
Massen gegen Rom im Felde gestanden, und die ungewohnte Nähe des Kriegs-
schauplatzes steigerte in dem verwöhnten und nicht mehr wie sonst schlag-
fertigen Italien die Furcht ins Grenzenlose. Die Zeitgenossen vergleichen
diesen Krieg wohl mit dem Hannibalischen; wenn damit den Insurgenten all-
zuviel Ehre erwiesen wird, so ist anderseits gewiß genug, daß, wenn in dieser
Zeit ein zweiter Hannibal aufgestanden wäre, er nicht vor den Toren Roms
hätte umzukehren brauchen. Die Regierung in Rom bot das Äußerste auf; die
Armee wurde um acht Legionen, das heißt um etwa die Hälfte des bisherigen
Bestandes verstärkt; man strengte den letzten Nerv an, um die nötigen Mann-
schaften und das nötige Geld zu beschaffen. Diese neuen Formationen indes
würden wenig geholfen haben, wenn die Gefahr in der Tat so dringend gewesen
wäre, wie man meinte. Aber Tiberius bestand die Probe; feine Besonnenheit
und Tüchtigkeit rettete den Staat. Der Krieg gegen Marobod mußte natürlich
vertagt werden; es ist bezeichnend für diesen, daß er froh war, den Frieden
gern auf „gleiche Bedingungen" zu erhalten und nicht daran dachte, an den
Kämpfen der Insurgenten, die ihn retteten, sich zu beteiligen. Tie ganze gegen
Marobod vereinigte Truppenmasse ward über die Donau zurückgeführt und
bald war die eigentliche Gefahr beseitigt, wenn auch der Kampf schwer und
verlustvoll war und die Niederwerfung der weit ausgedehnten Insurrektion bis
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Extrahierte Personennamen: Hannibal Tiberius
Extrahierte Ortsnamen: Gallien Jena_Leipzig Germaniens Donau Bergen_Bos- Rom Italien Rom Donau